Am Dienstag, 04.06.2024, sprach Prof. Dr. Alexander Tischbirek, Inhaber der Juniorprofessur für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht, mit Schwerpunkt Recht der Digitalisierung, Medienrecht und Recht des E-Governments, vor der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e.V. zum Thema „Konstitutionalisierungsgrade. Präventives Verfassungsrecht gegen rechts?“.
Peter Küspert, 2. Vorsitzender der Juristischen Studiengesellschaft, eröffnete die Veranstaltung im „Kaisersaal“ des Hotels Goldenes Kreuz Regensburg und stellte den Zuhörenden den bisherigen Werdegang des Referenten vor.
Prof. Dr. Tischbirek begann seinen Vortrag mit einem Blick auf das Erstarken der politischen Partei Alternative für Deutschland (AfD), insbesondere hinsichtlich der aktuellen Umfrage- und Wahlergebnisse. Der Referent erinnerte an die von einzelnen Landesverfassungsschutzbehörden und Gerichten vorgenommene Einstufung der Partei und einzelner Parteimitglieder als gesichert rechtsextrem und rekapitulierte mögliche repressive verfassungsrechtliche Reaktionen wie etwa Grundrechtsverwirkungen nach Art. 18 GG oder ein Parteiverbotsverfahren. Letzteres komme jedoch schon mit Blick auf die hohen Hürden des Art. 21 Abs. 2 GG für die kommenden Wahlen zu spät. Die verfassungsrechtliche Diskussion habe sich daher verstärkt auch anderer verfassungsrechtlicher Reaktionsmöglichkeiten zugewandt, mittels derer die grundgesetzliche Demokratie gefestigt werden solle und die unter den Begriff der „präventiven Konstitutionalisierung“ gebracht werden könnten. Diese seien zwar nicht explizit gegen eine konkrete politische Partei wie die AfD gerichtet. Gleichwohl ziele man darauf ab, durch vordergründig neutral formulierte Verfassungsergänzungen bestimmte politische Gestaltungen einer möglichen neuen Mehrheit zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Dies werfe die Frage auf, ob dem Recht Argumente für oder gegen eine solche Form der Konstitutionalisierung entnommen werden könnten.
Um einen Maßstab für Konstitutionalisierungsbewegungen zu finden, stellte Prof. Dr. Tischbirek den materiellen Verfassungsbegriff Carl Schmitts dem formellen Hans Kelsens gegenüber, die beide zunächst keine Aussage zum adäquaten Konstitutionalisierungsgrad einer Rechtsordnung träfen. Das Zusammenspiel der beiden Lehren in Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 20 GG ermögliche und erfordere indessen eine Vermessung von Konstitutionalisierungsbewegungen vor dem Demokratieprinzip. Zudem seien etwa der rechtsgeschichtlichen oder der verfassungsvergleichenden Forschung Argumente zu entnehmen, welche die verfassungspolitische Diskussion versachlichen könnten.
Vor diesem Hintergrund seien Erhöhungen des Konstitutionalisierungsgrads im Wege von Verfassungsergänzungen zunächst demokratietheoretisch verdächtig, da sie politische Gestaltungsspielräume verengten. Daraus folge jedoch nicht zwangsläufig auch ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip. Zur Illustration führte der Referent die Diskussionen um die Wahl des Ministerpräsidenten nach Art. 70 Abs. 3 der Thüringischen Verfassung, um die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Kündigung von Staatsverträgen sowie die Debatte um die sogenannte „Resilienz“ des Bundesverfassungsgerichts an.
Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien sei bei diesen Reformdiskussionen weder unmittelbar anwendbar noch in der Sache berührt. Das Demokratieprinzip sei im Ergebnis nicht geschwächt, wo verfassungsrechtliche Vagheit beseitigt und das Parlament verfahrensrechtlich gegenüber der Regierung gestärkt werde.
Einen Schwerpunkt des Vortrags bildete sodann die fehlende Verankerung des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz. Aufgrund der nur einfachgesetzlichen Normierung seiner Zusammensetzung und Verfahren sowie der Wahl seiner Richterinnen und Richter sei das Bundesverfassungsgericht nicht ausreichend gesichert. Dies veranschaulichte der Referent mit dem Versuch des ehemaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, den amerikanischen Supreme Court 1937 im Wege eines „Court Packing“ um sechs liberale Richter zu erweitern, um zu verhindern, dass das Gericht seine politischen Ziele vereitelte. Ferner wendete Prof. Dr. Tischbirek den Blick auf die fortwährende Krise der polnischen Verfassungsgerichtsbarkeit. Er stellte sodann fest, dass das Bundesverfassungsgericht als einziges Verfassungsorgan wesentlich durch die anderen in der Verfassung verankerten Organe vorgeprägt werde. Dies sei selbst für eine parlamentarische Demokratie untypisch. Der Referent diskutierte sodann verschiedene, auch rechtsvergleichend motivierte Vorschläge zu einer Festigung des Bundesverfassungsgerichts und sprach sich für eine behutsame Konstitutionalisierung aus.
In der anschließenden Diskussion wurden eine Vielzahl von Themen erörtert wie etwa die Möglichkeit der Konstitutionalisierung der Geschäftsverteilung des Bundesverfassungsgerichts oder die Einführung eines dritten Senats, um den Grundrechtssenat des Bundesverfassungsgerichts zu entlasten. Auch der Umgang mit Sperrminoritäten bei der Wahl von Verfassungsrichtern und -richterinnen sowie eventuelle Nachteile der Erhebung des Bundesverfassungsgerichts in den Verfassungsrang wurden besprochen. Bei dem abschließenden Buffet hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit zur weiteren Diskussion und zum persönlichen Austausch.
Am Dienstag, 28.11.2023, sprach Prof. Dr. Jens Bormann, LL.M. (Harvard), Präsident der Bundesnotarkammer, vor der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e.V. zum Thema „Die Vorteile der vorsorgenden Rechtspflege im internationalen Vergleich“.
Zum ersten Mal seit dem Referat von Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Rennert, Präsident des BVerwG a.D., fand die Veranstaltung wieder im Alten Reichsstädtischen Bibliothekssaal (Napoleonsaal) des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg statt. Dr. Martin Hermann, Präsident des Verwaltungsgerichts Regensburg, eröffnete die Veranstaltung mit einem Grußwort und illustrierte den Zuhörerinnen und Zuhörern die lange Historie des Veranstaltungssaals. Prof. Dr. Christoph Althammer, 1. Vorsitzender der Studiengesellschaft, stellte im Anschluss den bisherigen beruflichen Werdegang des Referenten vor.
Prof. Dr. Bormann begann seine Ausführungen mit einer Gegenüberstellung der durch den allgemeinen Justizgewährungsanspruch verbürgten „Ex-Post-Rechtspflege“ einerseits und der „Ex-Ante-Rechtspflege“ andererseits. Anliegen der staatlichen „Ex-Ante-Rechtspflege“ kontinentaleuropäischer Rechtsordnungen sei es, Rechtsstreitigkeiten möglichst bereits im Ursprung zu vermeiden. Hiermit verfolge der kontinentaleuropäische Rechtskreis einen diametral entgegengesetzten Ansatz verglichen mit Rechtssystemen anglo-amerikanischer Prägung. Letztere legen Vorbereitung, Abschluss und Vollzug von Rechtsgeschäften allein in private Hände. Dieser liberale „Laissez-Faire-Ansatz“ nach anglo-amerikanischem Vorbild befand sich international lange auf dem Vormarsch, wohingegen sich die staatliche „Ex-Ante-Rechtspflege“ Kontinentaleuropas mit einem wachsenden Deregulierungsdruck und Begründungszwang konfrontiert sah. Insbesondere die Weltbank zeigte in ihren sog. Doing Business Reports klare Präferenzen für staatsferne Modelle, die etwa als weniger korruptionsanfällig galten. Das auf einem staatlichen Notariat basierende deutsche System konnte nach den Bewertungsmaßstäben der Weltbank in vergleichender Beurteilung keine Spitzenplätze erreichen. Notarinnen und Notare würden danach, so der Referent, vielmehr als wettbewerbsfeindlich begriffen.
Prof. Dr. Bormann zeigte im weiteren Verlauf gleichwohl die Vorzüge des lateinischen bzw. kontinentaleuropäischen Notariats aus seiner Sicht auf. Einen zentralen Vorteil erkennt der Referent in der Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit des staatlich regulierten Systems. Während bei Transaktionen nach amerikanischem Modell die Kosten der erforderlichen privaten Rechtsberatung regelmäßig etwa 7 % des Transaktionsvolumens veranschlagen, liegen diese unter Zugrundelegung des deutschen Gebührenrechts nach dem GNotKG regelmäßig bei lediglich 0,5–1 %. Durch den vorbeugenden Abbau von Informationsasymmetrien, ausgewogene Vertragsgestaltung, ausgeübten Übereilungsschutz und präventive Rechtmäßigkeitskontrollen können zudem Streitigkeiten effektiv vermieden werden. Dies entlaste nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die staatliche „Ex-Post-Rechtspflege“. In gegenwärtigen Krisenzeiten obliege den Notarinnen und Notaren zudem die Wahrung gewichtiger öffentlicher Interessen, namentlich die Verhinderung von Geldwäsche sowie die Durchsetzung von Sanktionen. Insbesondere im Kontext der aktuellen EU-Sanktionspakete gegen Russland komme dieser Tätigkeit enorme Bedeutung zu. Aufgrund dieser Potenziale der vorsorgenden Rechtspflege nach kontinentaleuropäischer Prägung bemühe sich die Bundesnotarkammer um die globale Vermittlung der Leistungsfähigkeit des Notariats lateinischer Prägung. Aktuell sei bereits eine erfreuliche Trendwende hin zu einer zunehmenden internationalen Verbreitung der „Ex-Ante-Rechtspflege“ zu beobachten.
In einem nachfolgenden Austausch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde etwa erörtert, ob und inwieweit aktuelle Überlegungen existieren, die notariellen Tätigkeitsfelder zu erweitern oder inwiefern andererseits Notarinnen und Notare bereits durch die zunehmende Pflicht zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen überlastet werden. Zudem wurde thematisiert, ob ein Rechtsexport des Systems der vorbeugenden Rechtspflege in Rechtsordnungen des Common Law überhaupt möglich ist und inwieweit Public Blockchain in Zukunft zur verlässlichen Registerführung beitragen könnte. Die Veranstaltung wurde durch ein anschließendes Buffet abgerundet, das den Anwesenden die Gelegenheit für vertiefte Diskussionen bot.
Am 16.05.2023 sprach Prof. Dr. Alexander Hellgardt, LL.M. (Harvard), Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und Grundlagen des Rechts an der Universität Regensburg, vor der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e. V. zum Thema „Klimaklagen gegen Private als Regulierungsinstrument“.
Julian Sander, Schriftführer der Studiengesellschaft, eröffnete die Veranstaltung im „Kaisersaal“ des Goldenen Kreuzes Regensburg und stellte den Zuhörerinnen und Zuhörern den bisherigen Werdegang des Referenten vor.
Prof. Dr. Hellgardt rekapitulierte zu Beginn seines Vortrags die Genese des Phänomens privatrechtlicher Klimaklagen. Startschuss, so Prof. Dr. Hellgardt, war das Urteil des Bezirksgerichts Den Haag vom 26.05.2021, mit dem dieses den Konzern Royal Dutch Shell zu einer Reduktion seiner CO²-Emissionen verurteilte. Hierdurch sei der Thematik erstmals weltweite Aufmerksamkeit zuteilgeworden und zudem ein Vorbild für zahlreiche weitere „Klimaklagen“ entstanden. Zu unterscheiden sei dabei zwischen sogenannten rückwärtsgewandten Klimaklagen („Klimahaftungsklagen“), deren Ziel es ist, Unternehmen für vergangene Emissionen zur Verantwortung zu ziehen, und vorwärtsgewandten Klimaklagen („Klimaschutzklagen“), die eine Reduktion des CO²-Ausstoßes in der Zukunft erreichen möchten. Der Referent konzentrierte sich in seinem Vortrag auf Klimaschutzklagen. Nur diese könnten aufgrund ihrer Ausrichtung auf ein künftiges Unterlassen, überhaupt als Regulierungsinstrument klassifiziert werden. Dabei stelle sich laut Herrn Prof. Dr. Hellgardt schon im Ausgangspunkt die Frage, inwieweit derartige Klagen geeignet sein können, über den Individualrechtsschutz hinausgehend, positive Effekte für das Klima zu erzielen. Weiter sei das Verhältnis staatlicher und privater Klimaschutzmaßnahmen insoweit zu klären, als die gegenständlichen Klagen oftmals ein Verhalten einfordern, das öffentlich-rechtlich nicht zwingend ist. Zudem beschränken sich gesetzgeberische Vorgaben regelmäßig auf die Festlegung bestimmter Zustandsziele, etwa der Reduktion der Klimaerwärmung auf möglichst 1,5°C (festgeschrieben in § 1 Bundes-Klimaschutzgesetz – KSG), während keine konkreten Handlungsziele in Gestalt bestimmter Schutzmaßnahmen bezeichnet werden. Gerade auf die Einforderung solcher konkreten Handlungen bzw. Unterlassen zielten allerdings meist Klimaschutzklagen ab. Neben diesen grundsätzlichen Problemkreisen offenbarten sich schnell rechtliche Grenzen privater Klimaklagen. So seien einerseits öffentlich-rechtliche Vorgaben – etwa des KSG – bereits regelmäßig nicht als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB einzuordnen und daher privatrechtlich kaum durchsetzbar. Andererseits erfordere eine Verurteilung, selbst bei gelungener Darlegung konkreter Gefahren für absolut geschützte Rechtsgüter, die Feststellung des Nichtbestehens einer Duldungspflicht. Eine solche könne sich aber nur an der Störungshandlung orientieren, da bei vorbeugenden Unterlassungsklagen Art und Ausmaß der Rechtsgutsbeeinträchtigung noch nicht absehbar seien. Schließlich stehe auch wirksam in Anspruch genommenen Störern grundsätzlich das Recht zu, das „Wie“ der Beseitigung selbst zu wählen.
Prof. Dr. Hellgardt stellte daher im Laufe seiner Ausführungen fest, dass das Zivilrecht keinesfalls als „Allheilmittel“ wirksamen Klimaschutzes dienen könne. Denkbar sei zwar grundsätzlich eine verfassungsrechtliche Effektuierung privater Klimaschutzklagen im Wege einer mittelbaren Drittwirkung von Art. 20a GG, diese sei allerdings erst dann in Betracht zu ziehen, wenn der Staat seiner originären Klimaschutzverantwortung nicht hinreichend nachkomme. Erst dann könnten Private ersatzweise, respektive sekundär, verpflichtet werden. Privaten Klimaschutzklagen kommen daher, so das Fazit von Prof. Dr. Hellgardt, im geltenden Rechtsrahmen keine großen Potentiale zu. Erst dann, wenn ein festgestelltes Versagen des Staates eine Modifikation privatrechtlicher Grundsätze erlaube, könnten diese eine Klimaschutzwirkung entfalten. Dies sei gleichwohl nicht wünschenswert, sondern allenfalls eine Notlösung, da eine sinnvolle Gesamtkoordination des Klimaschutzes nur von primärer, staatlicher Seite erfolgen könne.
In der sich anschließenden, teils kontroversen Diskussion wurde eine Vielzahl von Aspekten thematisiert und vertieft, u.a. wem die Feststellung des besagten „Staatsversagens“ obliege, ob in diesem Falle nicht vielmehr vorrangig der Staat durch das Bundesverfassungsgericht zum Eingreifen zu verpflichten wäre, inwieweit schon heute eine mittelbare Drittwirkung in Betracht käme, ob nicht auch Klimahaftungsklagen eine Präventionswirkung zuzuschreiben sei, und inwieweit der Staat bei sekundärer Inanspruchnahme Privater für sein legislatives Unterlassen haftbar gemacht werden könnte. Bei einem die Veranstaltung abrundenden Buffet ergab sich für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausreichend Gelegenheit für weitere Diskussionen wie auch den persönlichen Austausch.
Am Donnerstag, 20.10.2022, sprach Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, vor der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e.V. zum Thema „Recht und Gerechtigkeit – Anmerkungen und Zuspitzungen aus christlicher Sicht“.
Prof. Dr. Christoph Althammer, 1. Vorsitzender der Studiengesellschaft, stellte in seinen einführenden Worten fest, dass rechtwissenschaftliche Werke, die die Gerechtigkeit zu ihrem zentralen Gegenstand nehmen, wie es etwa Ernst-Wolfgang Böckenförde in seiner Abhandlung „Vom Ethos der Juristen“ tat, selten geworden sind. Gerade die Außensicht einer anderen Disziplin könnte dabei helfen, diese Perspektive wieder besser kennenzulernen. Die Mitglieder der Juristischen Studiengesellschaft durften daher im Melanchtonsaal des Regensburger Alumneum (Haus der Kirche) erstmals in der 35-jährigen Geschichte der Gesellschaft einen Nichtjuristen als Referenten begrüßen. Peter Küspert, 2. Vorsitzender der Studiengesellschaft, klärte die Anwesenden bei der Vorstellung des Vortragenden darüber auf, dass auch dieser ein Studium der Rechtswissenschaft begonnen, sich jedoch später für die Theologie entschieden hatte und insbesondere als Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland große Bekanntheit erlangte.
Prof. Dr. Bedford-Strohm betonte zu Beginn seines Vortrags die herausragende Bedeutung der Herrschaft des Rechts, derer er sich immer wieder bewusst werde, wenn er Staaten bereise, die eine solche nicht kennen. Recht und Gerechtigkeit mit Leben zu füllen, berühre dabei – als Ausfluss einer von ihm vertretenen „öffentlichen Theologie“ – Theologen und Juristen gleichermaßen. Ein solches Verständnis des Zusammenspiels moderner demokratischer Gesellschaft einerseits und Religion andererseits sei allerdings nicht überall Kosens. Vielmehr ließen sich – so Prof. Dr. Bedford-Strohm – fünf verschiedene Modelle unterscheiden, die ein jeweils unterschiedliches Verhältnis zwischen Gesellschaft und Religion zeichnen. Nach dem besonders in den USA verwurzelten Konzept einer „Zivilreligion“ ist gerade die Religion entscheidende Voraussetzung für den Zusammenhalt in einem demokratischen Staat. Dies berge allerdings die Gefahr, all diejenigen auszugrenzen, die sich nicht mit Religion identifizieren. Ein anderer Ansatz lasse sich unter dem Stichwort „Christliches Abendland“ zusammenfassen und gründe auf der Überzeugung, die Bewohner eines gewissen geographischen Raumes seien durch gemeinsame (religiöse) Kulturzusammenhänge verbunden. Andere, die nicht zu diesem kulturellen Kreis gehörten und diesen infrage stellten, würden als Bedrohung angesehen. Prof. Dr. Bedford-Strohm stört sich angesichts zweier von christlichen Nationen gegeneinander geführter grausamer Weltkriege und des Menschheitsverbrechens der Shoa insbesondere an der von vornherein angenommenen Überlegenheit, die dem christlichen Kulturraum in diesem Modell zugeschrieben wird. Ein drittes Verständnis gehe von einer multikulturellen Gesellschaft aus, in der verschiedene religiöse Gruppen koexistierten und sich ergänzten. Dies sei zwar zunächst einmal die Beschreibung eines Faktums, vernachlässige allerdings als Gesellschaftskonzept die Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen, die bei einem Aufeinandertreffen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen aufträten. Schließlich werde in einem vierten theoretischen Konzept der Versuch unternommen, Religion zu privatisieren und diese im Wege eines konsequenten Laizismus aus der Öffentlichkeit hinaus in den privaten Bereich zu drängen. Prof. Dr. Bedford-Strohm überzeugt dies gleichwohl nicht. Zum einen sei Religion zwar persönlich, allerdings deswegen nicht rein privat. Außerdem habe es keinen positiven Einfluss auf die Demokratie, würde die Religionsausübung in Hinterhöfe verbannt, in denen etwa extreme Religionsauslegungen unkontrollierbar würden. Aus all diesen Gründen plädiere er selbst für ein Konzept der „Öffentlichen Religion“. Grundüberzeugung hierbei sei es, dass unterschiedliche Teile einer pluralistischen Gesellschaft zwar auch unterschiedliche Auffassungen davon hätten, was „das Gute“ ist, gleichwohl jedoch alle einen gewissen Grundkonsens (z.B. Menschenrechte) teilten, der durch die verschiedenen gesellschaftlichen Konzeptionen des Guten in einem öffentlichen Diskurs mit Leben gefüllt werden sollte. Von der Kirche erhoffe er sich hierbei vor allem, auch Dinge jenseits der säkularen Vernunft miteinzubringen. Denn die Religion könne manchem eine Sprache geben, das die säkulare Gesellschaft nicht zu vermitteln vermöge. Ein gutes Zusammenspiel zwischen religiösen Ansichten und säkularen Ansichten sehe er etwa bei der Definition des Begriffs der Menschenwürde i.R.v. Art. 1 GG.
In einer anschließenden Diskussion mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung wurde etwa den Fragen nachgegangen, wer die Definitionshoheit über den angesprochenen Grundkonsens einer Gesellschaft innehabe, wieso Herr Prof. Dr. Bedford-Strohm so entschieden auf der Seite des Rechts stehe, obwohl man dieses doch als ein Recht von und für die Mächtigen definieren könne und, ob man nicht Leute verliere, die ihre Religiosität im Privaten ausleben, wenn man eine öffentliche Religion fordere. Recht, so Herr Prof. Dr. Bedford-Strohm in seiner Antwort, werde missbraucht, wenn es zum willkürlichen Instrument der Mächtigen werde. Recht habe immer als zentrale Aufgabe, die Schwachen zu schützen. Bei einem abschließenden Buffet hatten die Anwesenden weitere Gelegenheit zum Austausch mit dem Referenten.
Am 24.05.2022 – drei Monate nach dem großangelegten Angriff Russlands auf die Ukraine am 24.02.2022 – sprach Prof. Dr. Robert Uerpmann-Wittzack, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Regensburg, vor der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e.V. zum Thema „Der Angriff auf die Ukraine: Eine Zeitenwende?“.
Anknüpfend an den Vortrag von Dr. Peter Frank, Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, im Oktober 2021 gelang es damit der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg den prä-pandemischen halbjährigen Rhythmus der Vortragsreihe wiederzubeleben. Prof. Dr. Christoph Althammer, 1. Vorsitzender der Studiengesellschaft, eröffnete die Veranstaltung im „Kreuzsaal“ des Goldenen Kreuzes Regensburg und gab einleitend einen Überblick über die Chronologie der Ereignisse um den Angriff auf die Ukraine, ein Angriff, der zeige, dass das Hauptwerk von Hugo Grotius „De Jure Belli ac Pacis libri tres“ aus dem Jahr 1625 nicht an Aktualität verloren habe.
Prof. Dr. Uerpmann-Wittzack knüpfte mit seinem Vortragsthema terminologisch an die Worte von Bundeskanzler Olaf Scholz an, der im Rahmen der Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 27.02.2022 eine „Zeitenwende“ durch den Angriff auf die Ukraine ausmachte, die in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts zurückweise. Eine solche Rückkehr zum „klassischen Völkerrecht“ (ab 1648), das auch eine Freiheit zum Krieg beinhaltete, vermochte der Referent allerdings nicht zu erkennen. Vielmehr zeigen die Rechtfertigungen Wladimir Putins für den Angriff (u.a. die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UN-Charta), dass Russland das Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta grundsätzlich anerkenne. Prof. Dr. Uerpmann-Wittzack führte aus, dass eine „Zeitenwende“ gleichwohl voraussetze, dass eine bisherige Epoche zu Ende gegangen sei und stellte vergangene historische Zäsuren dar, die nach heutigem Verständnis als Zeitenwende verstanden werden können, namentlich den Ersten Weltkrieg 1914/18, das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945, das Ende des Kalten Kriegs 1989/90 sowie den 11. September 2001. Der Überfall Russlands auf die Ukraine könnte vor diesem historischen Hintergrund ein Versagen der nach 1945 eingeleiteten Friedenssicherungsmechanismen oder auch ein endgültiges Scheitern der Hoffnung einer Integration Russlands in die westliche Staatengemeinschaft ab 1989/90 bedeuten, manifestiert etwa durch den Ausschluss aus dem Europarat am 16.03.2022. Andererseits könnte auch ein Ende der seit 2001 im Krieg gegen den Terror vermehrten asymmetrischen Kriegsführung (etwa gegen al-Quaida oder den IS) unter Rückkehr zum klassischen zwischenstaatlichen Krieg zweier Nationen erkannt werden. Prof. Dr. Uerpmann-Wittzack ging im Laufe des Abends ausführlich auf die Funktionsweise des UN-Sicherheitsrats und seine weitgehende Lähmung durch die Vetomächte ein, ebenso wie auf das UN-Gewaltverbot mit seinen zugehörigen Rechtfertigungsmechanismen des UN-Mandats und des Selbstverteidigungsrechts. Dabei wies er nicht zuletzt auch auf die paradoxe Situation des Ukraine-Kriegs hin, in dem sich aktuell beide Kriegsparteien auf das Selbstverteidigungsrecht berufen. Ansatzpunkt für die Annahme einer Zeitenwende gibt schließlich noch die Rückkehr zu einer vom Ziel der Gebietsannexion getragenen Kriegsführung, die insoweit von jüngeren Konflikten (z.B. Kosovo, Panama, Irak) abweicht. Außerdem könnte man ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik annehmen: Während in letzten Jahren vielerorts das Credo lautete, 2015 dürfe sich nicht wiederholen, ließ etwa Polen über drei Millionen ukrainische Geflüchtete in sein Land. Schlussendlich konnte Prof. Dr. Uerpmann-Wittzack allenfalls eine eingeschränkte Zeitenwende insoweit feststellen, als der Traum der Integration Russlands in die Staatengemeinschaft vorerst ausgeträumt scheint. Die Friedensordnung nach 1945 sei gleichwohl in ihren Grundfesten nicht obsolet geworden. Hinsichtlich der Flüchtlingspolitik sei eher eine Rückkehr zu den Ursprüngen paneuropäischer Flüchtlingshilfe in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und der russischen Revolution zu beobachten.
In lebhafter Diskussion wurden im Anschluss etwa Fragen thematisiert, inwieweit es möglich wäre, das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat zu umgehen, ob die russische Unterstützung einer Sezession Donezks und Luhansks zur Rechtfertigung des Kriegs dienen könne, inwiefern Deutschland durch Waffenlieferungen aus völkerrechtlicher Sicht zur Kriegspartei werde und ob nicht der Terminus der „Zeitenwende“ eher ein politischer als ein rechtlicher sei. Schlussendlich hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch bei einem abrundenden Buffet nochmals die Gelegenheit zur Diskussion mit Herrn Prof. Dr. Uerpmann-Wittzack.
Am Dienstag, 12.10.2021 sprach Dr. Peter Frank, Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA), vor der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e.V. zum Thema „Strafverfolgung des Terrorismus heute“.
Nach fast zweijähriger pandemiebedingter Unterbrechung und mehrfacher Verschiebung des Vortrags von Herrn Dr. Frank konnte die Vortragsreihe vor der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e.V. im großen Schwurgerichtssaal des Landgerichts Regensburg fortgesetzt werden. Prof. Dr. Christoph Althammer, 1. Vorsitzender der Studiengesellschaft, betonte in seiner Eröffnung, dass das Vortragsthema keineswegs an Aktualität verloren habe, sondern vielleicht mehr als zuvor den Puls der Zeit treffe. Nach einem Grußwort von Sibylle Dworazik, Präsidentin des Landgerichts Regensburg stellte Peter Küspert, Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes und des Oberlandesgerichts München a.D. und 2. Vorsitzender der Studiengesellschaft, den persönlichen Werdegang des Referenten bis zu seiner Ernennung zum GBA im Jahr 2015 vor.
Dr. Peter Frank erinnerte zu Beginn seines Vortrages an die sich zum 20. Mal jährenden Anschläge vom 11. September 2001 und verwies auf die seitdem veränderte Bedrohungslage des Terrorismus. Er erläuterte sodann die Arbeitsweise des als Reaktion auf die Anschläge geschaffenen Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ), in dem 40 Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder, unter ihnen der GBA, die Bekämpfung islamistischen Terrors koordinieren, und befasste sich mit der Frage, in welcher Weise der GBA als Staatsanwaltschaft, und damit als dem Grunde nach repressiv tätige Institution, in einem Behördenzusammenschluss für präventive Gefahrenabwehr agiere.
In der Folge ging Herr Dr. Frank auf die materiell-rechtlichen Grundlagen der Tätigkeit des GBA ein und zeigte auf, dass die §§ 89a, 89b, 129a, 129b StGB die Strafbarkeit teilweise in das Vorbereitungsstadium der eigentlichen Straftatbegehung vorverlegen, wodurch strafprozessuale Maßnahmen, etwa eine Untersuchungshaftanordnung, bereits weit vor der konkreten Gefährdung oder Verletzung wichtiger Rechtsgüter und daher mit auch präventiver Wirkung ergriffen werden können. Die genannten Normen stellten damit das Herzstück der strafrechtlichen Terrorismusabwehr dar. Spannende Einblicke ermöglichte Herr Dr. Frank auch zu weiteren Problemkreisen, etwa dem Erfordernis besonderer Ermächtigung seitens des Justizministeriums bei der Verfolgung von terroristischen Vereinigungen außerhalb der EU. „Strafverfolgung des Terrorismus heute“ bedeute, so der Vortragende abschließend, nicht mehr allein den Schutz des Staates in Bestand und Funktionsweise, sondern vor allem den Schutz zentraler Werte wie Demokratie, Rechtsstaat und der Grundrechte. Der Terrorismus, der diese Werte nicht teile, müsse effektiv bekämpft werden.
In der anschließenden Diskussion mit den Gästen der Vortragsveranstaltung ging Herr Dr. Frank auf verschiedene weitere aktuelle Fragen ein, etwa auf die Folgen der Machtergreifung der Taliban in Afghanistan für die Tätigkeit des GBA sowie die datenschutzrechtlichen Grundlagen der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im GTAZ.
Abgerundet wurde die Veranstaltung von einem Buffet, das dem Referenten und den Besuchern der Vortragsveranstaltung den weiteren Austausch ermöglichte.